Im Verlauf des Jahres 2019 führten wir einen deliberativen Wertedialog mit Potsdamern muslimischen sowie nicht-muslimischen Glaubens durch. Wir trafen uns circa alle drei Wochen im Rechenzentrum, um über gemeinsame Werte und Weltanschauungen zu sprechen.

Das Projekt war ursprünglich als Kooperation mit der Potsdamer Moscheegemeinde vorgesehen. Die Zusammenarbeit erwies sich dann jedoch als schwierig und die Kommunikation als nicht offen und ehrlich, so dass wir das Projekt ohne die Moscheegemeinde zu Ende führen mussten.

Die Moschee befindet sich in der Innenstadt in einem umgebauten Laden in der Straße Am Kanal. Mit dem Zuzug der Geflüchteten ist die Gemeinde stark gewachsen. Beim Freitagsgebet kommen ca. 400 Personen zum gemeinsamen Gebet. Als Ort der Gemeinschaft und der Zusammenkunft ist die Moschee für viele Gemeindemitglieder und gerade für Geflüchtete sehr wichtig. Für viele ersetzt die dortige Gemeinschaft das soziale Umfeld, das Gemeinschaftsgefühl, das mit der Flucht aus den Herkunftsländern, mit dem Verlassen der Familien weggebrochen ist. Einige Geflüchtete berichteten uns, dass sie sich hier in Deutschland nicht wohl fühlen, dass sie sich alleine fühlen. Einige sprachen auch einen Identitätskonflikt an, wenn sie sagen, dass sie sich hier „verloren haben“. Die verstärkte Besinnung auf die Religion, die bei einigen Geflüchteten beobachtet werden kann, ist ein Weg, um mit diesem scheinbar drohenden Identitätsverlust umzugehen. Moscheegemeinden kommt beim Ankommen und bei der Identitätssuche gerade junger Menschen in Deutschland also eine enorme Verantwortung zu. Ermöglichen sie eine erfolgreiche Integration in der Ankommensgesellschaft oder tragen sie zu einer Abschottung in Parallelgesellschaften bei?

Bei einigen Gemeindemitgliedern wurde – zum Beispiel von Sozialarbeitern – beobachtet, dass sie in den ersten Monaten nach ihrer Ankunft in Deutschland sehr offen und aufgeschlossen waren und auch Kontakte mit Deutschen aufbauten. Nach und nach aber schienen sie sich zu verändern, legten die islamischen Regeln immer strenger aus, hatten ein schlechtes Gewissen, wenn sie „unislamische“ Dinge taten, zogen sich in ihre ethnische Gemeinschaft zurück und grenzten sich mehr und mehr ab. Wer zu offen sei für das Leben hier, würde sich noch mehr verlieren, man hätte genug gesehen. In den Äußerungen einiger junger Männer hörte man zwischen den Zeilen heraus, dass dies Konsens in der Peer Group zu sein scheint, innerhalb derer sich die Abgrenzung von der Aufnahmegesellschaft noch verstärkt. Ob dies Einzelfälle sind oder ein genereller Trend kann nicht gesagt werden. Auch die Frage nach der Rolle der Moschee in dieser Dynamik ist unklar. Die Kontakte mit Mitgliedern der Gemeinde lassen darauf schließen, dass dort ein sehr konservativer Islam vermittelt wird, der aufgrund der strengen Auslegung der islamischen Regeln eine Integration in die deutsche Gesellschaft erschwert. Etwa wenn bei Veranstaltungen wie öffentlichen Vorträgen den Frauen der Zutritt verwehrt wird, um die Regel der Geschlechtertrennung nicht zu verletzen. Wie, so fragen wir uns, sollen junge Männer beispielsweise eine Arbeit aufnehmen, wo sie mit Frauen zusammen arbeiten, wenn ihnen in der Moschee suggeriert wird, das dieser Kontakt nicht akzeptabel sei?

Bereits 2017 war die Gemeinde als „zu konservativ“ in die Kritik geraten. Der bekannte ARD-Reporter Constantin Schreiber hatte für sein Buch „Inside Islam“[1] am 16.12.2016 die Potsdamer Freitagspredigt besucht, die zu diesem Zeitpunkt in der Orangerie der Potsdamer Biosphäre stattfand, was die Stadt jeden Freitag 1.500 Euro kostete[2]. Er hatte die Predigt aufgenommen und von einem Dolmetscher übersetzen lassen. Was dort zu hören war, klang nicht nach Integration, sondern nach Abgrenzung.[3]

„Die wahrhaftigste Überlieferung ist das Buch Gottes. Das schlimmste aller Dinge sind ihre Neuerungen. Jede Neuerung in der Religion Gottes ist Ketzerei. Jede Ketzerei ist Irrtum und jeder Irrtum endet im Feuer.“ [4]

„Der Mensch folgt der Religion seines besten Freundes. Also sollte jeder darauf achten, wen er zum Freund nimmt.“ [5]

„Es gibt einige Brüder, die wegen des Euros auf ihr Gebet verzichten, wegen des Euros auf ihre Prinzipien verzichten, wegen des Jobcenters. Wir respektieren das Jobcenter, das Lageso und dieses Land aber wir respektieren nicht den Menschen, der seine Religion aufgibt.“ [6]

Diese Zitate erwecken den Eindruck, dass jede Modernisierung des Islam als Ketzerei abgelehnt wird, raten davon ab, nicht Muslime als Freunde zu haben und erwecken den Eindruck, dass Berufstätigkeit und Ausübung von Religion in einem Spannungsfeld stehen. So äußern auch manche Geflüchtete, dass sie nur eine Arbeit annehmen, wenn von vorneherein klar ist, dass sie Freitag 13 Uhr in die Moschee gehen können.

Im Zusammenhang mit der Kontroverse um Schreibers Buch versprach der Verein der Muslime Potsdam mehr Offenheit. Und auch die Stadt Potsdam wünscht sich einen Dialog zwischen den Religionen. Mike Schubert – damals Sozialdezernent, heute Bürgermeister der Stadt – richtete sich bei der Eröffnung des neuen Gebetsraumes im April 2018 direkt an den Imam mit der Bitte: „Bringen Sie sich bitte in diesen Dialog ein.“[7]  Unser Projekt, dachten wir, wäre eine ideale Gelegenheit, diese Offenheit konsequent umzusetzen und mit Potsdamern, die keinen oder einen anderen Glauben haben, zu reden. Und zwar nicht über internationale Kochrezepte sondern über Dinge, die wirklich wichtig sind, über Demokratie, über Freiheit, Identität, Gleichberechtigung, darüber was es heißt, in einer pluralistischen Gesellschaft zu leben. Bei unserem ersten Anruf bei dem Imam der Moschee hat ihm unsere Idee gut gefallen. „Wir müssen miteinander reden, nicht gegeneinander“, sagte er. Bei einem ersten Treffen verabredeten wir, dass die Gesprächsrunden in den Räumen der Moschee stattfinden sollen. Der Iman lud einige Gemeindemitglieder zu einem ersten Treffen ein, bei dem wir unsere Idee vorstellten, und motivierte die Anwesenden, an den Treffen teilzunehmen. Er war sehr freundlich, hatte eine positive Energie und schien das Projekt wirklich zu unterstützen.

Doch in den folgenden Wochen wechselte die Stimmung. Unsere E-Mails wurden nicht beantwortet und auf mehrmaliges Nachfragen hieß es, der Vorstand des Vereins der Potsdamer Muslime hätte entschieden, dass die Räume der Moschee für die Gesprächsrunden nicht geeignet seien. Wir fragten uns, wer genau mit dem Vorstand gemeint ist und ob andere Gemeindemitglieder Einfluss auf den Imam ausübten. Wir beschlossen schließlich, die Menschen zu uns ins Rechenzentrum einzuladen. Doch auch das gestaltete sich schwierig: Flyer, die wir in der Moschee auslegten, verschwanden, unser Poster wurde abgerissen und der Imam wollte unsere Veranstaltung auch nicht im Anschluss an die Freitagspredigt vorstellen. Bei einem weiteren Treffen sagte er uns zu, bei der nächsten Gesprächsrunde dabei zu sein und weitere Personen mitzubringen. Doch niemand kam und niemand entschuldigte sich für das Fernbleiben. Das war für uns der Schlussstrich unter unsere „Kooperation“. Offensichtlich was das Miteinander Reden dann doch nicht so wichtig.

Wir machten weiter Werbung für unsere Gesprächsrunden in Cafés, Läden, Flüchtlingsunterkünften, in Zeitungen, vor der Moschee, auf verschiedene Facebookseiten, über persönliche Kontakte und soziale Netzwerke und hatten zu jedem Termin eine interessante Runde aus Menschen unterschiedlichster Herkunft und Religion. Um es den Teilnehmenden zu erleichtern, unsere Workshops wiederholt zu besuchen, haben wir auch eine ständig wachsende WhatsApp-Gruppe gebildet. Alle Menschen in dieser Gruppe haben zwei Tage vor dem Workshop erneut eine Einladung bekommen, auf Deutsch und Arabisch. Wir sprachen mit alteingesessenen Potsdamern und Neu-Potsdamern aus anderen Teilen Deutschlands, aus Israel, dem Sudan, aus Syrien, aus Afghanistan, Polen, Ägypten. Auch Menschen deutscher Herkunft, die den Islam bewusst als ihre Religion gewählt hatten, kamen zu unseren Gesprächen.

Die Gespräche waren ausdrücklich deliberativ gestaltet, was wir die potentiellen Teilnehmenden und die Moschee Gemeinde auch nachdrücklich ermittelt hatten. Deliberation sehen wir als einen offenen, konstruktiven Austausch von Ideen und Ansichten, der darauf abzielt, Präferenzen und gegenseitiges Verständnis zu entwickeln. Wir gehen davon aus, dass Menschen nicht mit bestimmten Vorlieben geboren werden, sondern diese im Austausch mit anderen entdecken. In diesem Austausch lernen Menschen, ihre eigenen Ideen und Ansichten zu entwickeln bzw. besser zu verstehen, diese in einen Kontext zu setzen und mit alternativen Perspektiven zu vergleichen und zu bereichern. Um eine Entwicklung oder Veränderung von Ideen zu ermöglichen, muss der Austausch respektvoll, ausgewogen und nicht konfrontativ sein.

Statt mit traditionellem Frontalunterricht unsere Sichtweise sozusagen von oben herab zu „unterrichten“ haben wir versucht, gemeinsam mit unseren Teilnehmenden und auf Augenhöhe ein gegenseitiges Verständnis von grundlegenden Werten und Konzepten zu erarbeiten. In Zusammenarbeit mit ihnen haben wir versucht, ihre oft versteckten Annahmen, Erklärungen und Begründungen offenzulegen, zu erforschen und zu durchdenken. Gemeinsam haben wir untersucht, wie Ideen zu Konzepten wie Demokratie, Freiheit, Toleranz und Emanzipation zusammenhängen, sich gegenseitig verstärken und letztlich auf unserem grundsätzlichen Verständnis beruhen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein und in einer fairen Gesellschaft zu leben.

Es war uns wichtig, dass die Teilnehmenden sich wohl, respektiert, sicher und nicht angegriffen fühlten. Wir haben darum direkte Gegenüberstellungen zwischen Ländern und Kulturen vermieden und stattdessen unter anderem historische Entwicklungen gezeigt (zum Beispiel: wie sich die Ideen zu Gleichberechtigung in Deutschland im letzten Jahrhundert entwickelten). Vor allem wollten wir zeigen und zusammen erfahren, dass es möglich, nützlich, aufklärend und auch unterhaltsam ist, mit anderen Bürgern grundlegende Werte, Ideen und Perspektiven zu diskutieren. Die Bürger und Bürgerinnen die teilgenommen haben, haben diese Erfahrung auch gemacht, so haben vielen uns berichtet.

Die Themen haben wir zusammen mit den Teilnehmenden festgelegt. Besprochen haben wir: Demokratie und Zivilgesellschaft, Freiheit und Autonomie, Identität, Diskriminierung, Gleichberechtigung, Pluralismus, Nachhaltigkeit und Einsamkeit. Die Gespräche waren sehr offen und informativ, und fast alle Anwesenden haben sich beteiligt. Geplant waren Zusammenkünfte von etwa zwei Stunden (von 17 bis 19 Uhr am Sonntagnachmittag), aber regelmäßig mussten wir die Leute um 20 Uhr nach Hause schicken. Große, unüberwindbare Meinungsunterschiede zwischen den Teilnehmenden haben wir nicht feststellen können. Einige Teilnehmende waren mehr geneigt, aus heiligen Schriften zu zitieren, aber weil die Zitate manchmal auf verschiedene Weise interpretiert werden konnten oder mit anderen Zitaten bereichert, waren ihre Bedeutungen nicht immer eindeutig und greifbar, und deshalb inakzeptabel für anderen.

Viele Teilnehmenden hatten sich sehr gefreut, eine Plattform zu haben, um sich mit anderen Bürgern und Bürgerinnen ausführlich über wichtige gesellschaftliche Themen auszutauschen. Diese Plattformen fehlen in unserer Gesellschaft. Die Menschen kommen nicht mehr genug zusammen, um zu reden und sich auszutauschen. Das Internet, wo heute viel Kommunikation stattfindet, kann diesen zwischenmenschlichen Austausch nicht ersetzen. In Folge fühlen sich viele Menschen einsam und isoliert. Das Format „Miteinander Reden“ schuf hier einen Raum, um einen lebendigen Austausch zu ermöglichen. Viele Teilnehmende möchten gerne mit diesen Gesprächen weitermachen, nicht nur als Gespräche zwischen Muslimen und nicht-Muslimen, sondern als Austausch zwischen Menschen – egal welcher Herkunft oder Religion. Social Science Works hat dazu auch Vorschläge gemacht.[8] Wir denken noch immer, dass es wichtig ist, auch mit den Mitgliedern der Moschee-Gemeinde ins Gespräch zu kommen, aber müssen leider feststellen, dass dieser Austausch nur zustande kommen kann, wenn der Vorstand der Moschee diesen Austausch unterstützt und nicht unterminiert.

Anmerkungen

[1] Constantin Schreiber (2017): Inside Islam: Was in Deutschlands Moscheen gepredigt wird, Econ

[2] https://www.pnn.de/potsdam/der-islam-und-die-integration-was-in-potsdams-moschee-gepredigt-wird/21358248.html

[3] Ein interessantes Interview und eine Lesung aus dem Buch gibt es unter https://www.literaturlandschaft.de/Mediathek.

[4] ebd.

[5] ebd.

[6] ebd.

[7] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2018/04/potsdams-neue-moschee-wird-eroeffnet.html

[8] https://socialscienceworks.org/leichtverstandlicher-austausch-gegen-politikverdrossenheit-maz-berichtet-uber-ssw/

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